Hinter allem, was im weltall geschieht, steht Gott durch seine Schakti, doch ist er von seiner Joga-Maja verschleiert und arbeitet in der niederen natur durch das ich des einzelnen.

Gespräche 1929

14 April 1929

- Die Mutter

Was sind die Gefahren des Joga ? Ist er für westliche Völker besonders gefährlich ? Man hat behauptet, Joga sei gut für den Osten, doch bringe er die westliche Mentalität aus dem Gleichgewicht.

 

Joga ist für westliche Menschen nicht gefährlicher als für östliche. Alles hängt davon ab, in welchem Geist man an ihn herangeht; gefährlich wird Joga nur, wenn man ihn zu persönlichen Zwecken benutzt. An sich ist er nicht gefährlich, sondern im Gegenteil das Heil und die Sicherheit selbst, sofern man sich ihm im Gefühl seiner Heiligkeit naht, immer eingedenk, dass das Göttliche zu finden das einzige Ziel ist.

Gefahren und Schwierigkeiten treten auf, wenn man Joga nicht aus Liebe zum Göttlichen übt, sondern um Kräfte zu erlangen und unter dem Deckmantel des Joga persönliche Ambitionen zu befriedigen. Wenn ihr nicht allen Ehrgeiz von euch weisen könnt, so rührt den Joga nicht an: er ist Feuer, das brennt.

Zwei Wege führen zum Joga: Selbstzucht  (Tapasja)  und Hingebung. Der erstere ist schwer. Da seid ihr auf eure eigenen Mittel angewiesen, ihr könnt einzig auf euch selber zählen, ihr steigt und verwirklicht euren Kräften gemäß. Die Gefahr des Absturzes begleitet euch auf Schritt und Tritt, und strauchelt ihr, so fallt ihr in einen Abgrund, aus dem man selten wieder herauskommt.

Der andere Weg, der Weg der Hingebung, ist verlässlich und sicher. Doch gerade hier stoßen die westlichen Menschen auf ihre Schwierigkeit. Man hat ihnen beigebracht, alles zu fürchten und zu meiden, was ihre persönliche Unabhängigkeit bedrohen könnte; sie haben das Gefühl ihrer Individualität schon mit der Muttermilch eingesogen. Und Hingebung heißt ja, dass man auf all das verzichtet.

Mit andern Worten, ihr könnt euch, wie Ramakrischna sagt, entweder nach dem Affenjungen oder nach dem Katzenjungen richten. Das Äffchen klammert sich an seine Mutter, um getragen zu werden und muss sich sehr gut festhalten; denn lockert es seinen Griff, so fällt es. Im Gegensatz dazu hält sich das Kätzchen nicht an seiner Mutter, sondern wird von ihr gehalten; es hat weder Furcht noch Verantwortung, es braucht nichts zu tun als sich tragen zu lassen und ma ma zu rufen. Wenn ihr in aller Aufrichtigkeit den Weg der Hingebung einschlagt, gibt es keine ernstliche Gefahr und Schwierigkeit mehr. Alles hängt von der Aufrichtigkeit ab. Seid ihr nicht aufrichtig, so fangt den Joga gar nicht erst an. Würde es sich um menschliche Angelegenheiten handeln, so könntet ihr mit einiger Aussicht auf Erfolg eure Zuflucht zur Täuschung nehmen; aber in euren Beziehungen zum Göttlichen ist kein Platz für Täuschung. Das Göttliche betrügt man nicht! Ihr könnt auf dem Weg in voller Sicherheit vorankommen, wenn ihr bis in die Tiefen eures Wesens wahrhaftig und offen seid und wenn es euer einziges Ziel ist, das Göttliche zu erreichen und zu verwirklichen.

Es gibt noch eine andere Gefahr; sie hängt mit dem Geschlechtstrieb zusammen. Im Verlauf des Läuterungsprozesses legt der Joga die versteckten Impulse und Begierden bloß und lässt sie an die Oberfläche steigen. Ihr müsst lernen, euch nichts zu verhehlen und nichts zu übergehen. Ihr müsst diesen Regungen der Unwissenheit die Stirn bieten, sie überwinden und umformen. Als erstes jedoch hebt Joga die geistige Kontrolle auf, und die unterdrückten Gelüste, plötzlich freigesetzt, dringen auf das ganze Wesen ein. Bis die geistige Aufsicht durch die göttliche ersetzt ist, gibt es eine übergangszeit, wo eure Aufrichtigkeit und Hingebung auf die Probe gestellt werden.

Die Gewalt der Triebe, vor allem des Geschlechtstriebs, rührt daher, dass die Leute sie viel zu wichtig nehmen. Sie begehren heftig dagegen auf und suchen sie unter ihren Willen zu zwingen und in Schach zu halten. Aber je mehr man seine Aufmerksamkeit auf etwas richtet und denkt: ,,Ich will das nicht, ich will das nicht", desto mehr ist man daran gebunden. Haltet die Sache von euch fern, tretet beiseite, messt ihr so wenig Bedeutung zu wie möglich, und wenn euch einmal der Gedanke daran kommt, so bleibt gleichmütig und unbekümmert. Den Trieben und Begierden, die durch den Druck des Joga zum Vorschein kommen, gilt es mit einem Geist der Gelassenheit und Heiterkeit zu begegnen, als etwas euch im Grunde Fremdem und zur äußeren Welt Gehörigem. Bringt sie dem Göttlichen dar, damit es sie nehmen und verwandeln kann.

Seid ihr dem Göttlichen einmal geöffnet und hat es begonnen, in euch herabzusteigen, und besteht ihr dann noch immer auf euren Beziehungen zu den alten Kräften, so ladet ihr Störungen und Schwierigkeiten ohne Ende und Gefahren aller Art ein. Ihr müsst wachsam sein und das Göttliche nicht als schönen Umhang benutzen, um die Befriedigung eurer Begierden zu bemänteln. Es gibt viele sogenannte Meister — sie geben sich selbst für solche aus — , die nichts anderes tun als das. Und wenn man den geraden Weg verlässt und wenig Kenntnis und nicht viel Macht hat, dann geschieht es, dass man einer gewissen Sorte von Wesenheiten zum Opfer fällt, die einen zu ihrem blinden Werkzeug machen und schließlich verschlingen. Es ist verderblich, für etwas gelten zu wollen, das man nicht ist. Man kann Gott nicht täuschen. Kommt nicht zu ihm und sagt: ,,Ich will die Einswerdung mit Dir", während ihr bei euch denkt: ,,Ich will Macht und Genuss". Nehmt euch in acht! Denn so geht es stracks auf den Abgrund zu.

Und dennoch ist es so einfach, alles Unheil zu vermeiden. Werdet wie Kinder. Gebt euch ganz der Mutter, lasst sie euch tragen, und es gibt keine Gefahr mehr für euch.

Das heißt nicht, dass ihr überhaupt keiner Schwierigkeit zu begegnen oder kein Hindernis zu überwinden hättet. Hingebung verbürgt nicht einen glatten, regelmäßigen und stetigen Fortschritt. Und zwar darum nicht, weil euer Wesen noch nicht in sich geeint und auch die Hingebung noch nicht unbedingt und vollständig ist. Nur ein Teil von euch gibt sich, der eine heute, ein anderer morgen, je nachdem.

Die jogische Selbstzucht besteht darin, diese auseinanderstrebenden Wesensteile zusammenzubringen und zu einer ungeschiedenen Ganzheit zu verschmelzen. Bis dahin könnt ihr nicht hoffen, von Schwierigkeiten wie Zweifel, Unschlüssigkeit oder Niedergeschlagenheit befreit zu sein. Die ganze Welt ist voll von diesem Gift; mit jedem Atemzug nehmt ihr es auf. Wechselt ihr ein paar Worte mit einem unangenehmen Menschen, oder geht ein solcher auch nur an euch vorbei, so könnt ihr schon von ihm angesteckt werden. Es genügt, sich einem Seuchengebiet zu nähern, um befallen zu werden, man braucht gar nichts davon zu wissen. So könnt ihr in ein paar Minuten verlieren, was zu gewinnen euch Monate gekostet hat.

Solange ihr zur normalen Menschheit gehört und ein gewöhnliches Leben führt, sind eure Beziehungen zu andern nicht allzu wichtig. Wollt ihr aber das göttliche  Leben führen, so müsst ihr sorgfältig auf euren Umgang und eure Umgebung achten.

Wie können wir Einheit und Übereinstimmung in unserm Wesen begründen ?

Bleibt in eurem Willen fest und behandelt die widerspenstigen Teile wie ungehorsame Kinder. Wirkt beständig und geduldig auf sie ein; überzeugt sie von ihrem Fehler.

Das seelische Wesen in den Tiefen eures Bewusstseins, der Wohnsitz des Göttlichen in euch, ist die Mitte, um welche der Zusammenschluss all dieser auseinanderstrebenden Teile und widersprüchlichen Regungen eures Wesens zu geschehen hat.

Seid ihr einmal des seelischen Wesens und seiner Sehnsucht bewusst geworden, so können all diese Schwierigkeiten und all diese Zweifel ausgemerzt werden. Das erfordert mehr oder weniger Zeit, aber des schließlich Gelingens dürft ihr gewiss sein. Sobald ihr euch dem Göttlichen zugewandt und ihm gesagt habt: ,,Ich will Dein sein", und das Göttliche euch angenommen hat, kann nichts auf der Welt euch daran hindern, es zu werden. Wenn das zentrale Wesen sich einmal überantwortet hat, ist die Hauptschwierigkeit beseitigt. Das äußere Wesen ist wie eine Kruste. Bei gewöhnlichen Leuten ist die Kruste so hart und dick, dass sie sich des Göttlichen in ihnen überhaupt nicht bewusst sind. Wenn aber, und sei es nur für einen Augenblick, das innere Wesen erwacht ist und gesagt hat: ,,Hier bin ich, und ich bin Dein", so ist es, als wäre eine Brücke geschlagen, und nach und nach wird die Kruste dünner, bis beide Teile völlig zusammenkommen und das innere und äußere Wesen eins sind.

Manchem Jogi ist der Ehrgeiz zum Verhängnis geworden. Dieser nagende Wurm kann sich lange verborgen halten. Viele betreten den Pfad, ohne von seiner Anwesenheit etwas zu bemerken. Sobald sie jedoch einige Kräfte erlangen, erhebt sich der Ehrgeiz in ihnen, und das umso heftiger, als er sich nicht von Anfang an bekundet hat.

Man erzählt die Geschichte von einem Jogi, der wunderbare Kräfte errungen hatte. Eines Tages lud ihn ein Jünger zu einem großen Festmahl ein. Es wurde auf einer langen niedrigen Tafel serviert. Da drangen die Jünger in ihren Meister, seine Kraft auf irgend eine Weise zu erkennen zu geben. Er wusste, dass er das nicht durfte, doch war der Keim des Ehrgeizes noch nicht völlig aus seinem Bewusstsein ausgemerzt, und er dachte: ,,Das ist schließlich eine ganz harmlose Sache; sie beweist ihnen, dass so etwas möglich ist und mehrt ihre Ehrfurcht vor Gott." So sagte er zu den Jüngern: ,,Entfernt den Tisch, ohne das Tischtuch zu berühren." Die Jünger riefen: ,,Aber das geht doch nicht, alles wird herunterfallen !" ,,Tut es", beharrte der Meister. Der Tisch wurde weggezogen, und das Wunder geschah: das Tischtuch mit dem ganzen Geschirr darauf blieb in der Luft, als wäre der Tisch noch da. Die Jünger staunten; doch plötzlich sprang der Meister auf und lief aus dem Festsaal, indem er schrie: ,,Nie mehr werde ich Jünger haben ! Weh mir, ich habe meinen Gott verraten !" Sein Herz brannte; er hatte seine göttlichen Kräfte persönlichen Zwecken dienstbar gemacht.

Kräfte zur Schau stellen ist immer ein Fehler. Das bedeut nicht, dass man von ihnen überhaupt keinen Gebrauch machen darf. Doch soll man sich ihrer so bedienen, wie man sie empfangen hat. Die Einung mit dem Göttlichen verleiht sie, und in den Dienst des göttlichen Willens müssen sie gestellt werden, nicht in den einer mehr oder weniger verkleideten Eitelkeit.

Nehmen wir zum Beispiel an, ihr habt die Kraft, Blinde zu heilen. Ihr trefft einen solchen unterwegs. Ist es nun Gottes Wille, dass ihr ihn heilt, so braucht ihr nur zu sagen: ,,Lass ihn sehen", und er sieht. Wollt ihr ihm aber die Sicht wiedergeben, einfach um ihn zu heilen, um euch selbst zu überzeugen oder zu beweisen, dass ihr es könnt, dann benutzt ihr eure Kraft, um persönlichen Ehrgeiz zu befriedigen. Und in diesem Fall läuft ihr nicht nur Gefahr, diese Kraft zu verlieren, sondern meistens bewirkt ihr auch schwere

Störungen in dem Betroffenen. Dem Anschein nach unterscheiden die beiden Verhaltensweisen sich nicht. Doch im ersten Fall handelt ihr nach dem Willen des Göttlichen und im andern aus einem persönlichen Antrieb.

Wie soll man wissen, werdet ihr fragen, ob es der göttliche Wille ist, der uns handein lässt? Der Wille des Göttlichen ist nicht schwer zu erkennen. Er ist unmissverständlich. Man braucht dazu auf dem Pfad nicht weit fortgeschritten zu sein. Doch müsst ihr auf seine Stimme hören, die leise, ruhige und friedvolle Stimme in der Stille eures Herzens.

Wenn ihr an dieses Lauschen gewöhnt seid und dann etwas dem göttlichen Willen Entgegengesetztes tut, empfindet ihr gleich ein Unbehagen; geht ihr aber trotzdem in der falschen Richtung weiter, so erfasst euch eine schwere Verstimmung. Für diese könnt ihr irgendeine materielle Begründung finden, um auf eurem Weg zu beharren. Dann verliert ihr allmählich die Gabe der Wahrnehmung, und schließlich könnt ihr alles mögliche begehen, ohne eine Warnung zu erhalten. Wenn ihr aber umgekehrt beim geringsten Unbehagen innehaltet und euer inneres Wesen fragt: ,,Wo rührt das her ?", so bekommt ihr die richtige Antwort, und die Sache wird völlig klar. Empfindet ihr eine leichte Niedergeschlagenheit oder ein leises Unwohlsein, so versucht nicht, dafür eine äußere Erklärung zu finden. Und wenn ihr in euch geht, um diesen Vorgang zu ergründen, seid absolut gerade und aufrichtig. Zunächst wird euer Denken irgendeine einleuchtende und vorteilhafte Erklärung liefern. Nehmt sie nicht an, sondern blickt darüber hinaus und fragt: ,,Was steht hinter dieser Regung? Warum habe ich das getan ?"  Zuletzt entdeckt ihr in einem Winkel versteckt einen Knick, eine kleine Abweichung oder Entstellung in eurer Haltung, und da sitzt die Ursache der Störung.

Eine der allgemeinsten Formen des Ehrgeizes ist die Idee des Dienstes an der Menschheit. An dieser Idee oder diesem Werk zu hängen, verrät persönlichen Ehrgeiz. Der Meister, der glaubt, die Menschheit eine große Wahrheit lehren zu müssen, der viele Anhänger wünscht und es gar nicht gerne sieht, wenn sie ihn verlassen, oder der sich des ersten besten bemächtigt, um ihn zu seinem Schüler zu machen, ist offensichtlich der Sklave seines Ehrgeizes.

Wollt ihr dem Geheiß des Göttlichen folgen, so müsst ihr imstande sein, jegliche Arbeit aufzunehmen, auch wenn sie gewaltig groß ist, und sie am nächsten Tag mit derselben Ruhe niederzulegen, ohne die Verantwortung für eure eigene zu halten. Ihr dürft an keiner bestimmten Lebensweise, dürft an gar nichts hängen. Ihr müsst ganz und gar frei sein.

Habt ihr die wahrhaft jogische Haltung, so vermögt ihr alles anzunehmen, was auch immer vom Göttlichen kommt, und ohne Widerstand und ohne Bedauern könnt ihr es aufgeben. Die Haltung des Asketen, der sagt: ,,Ich will gar nichts", und die Haltung des Weltmanns, der sagt: ,,Ich will dies oder das", ist die gleiche. Der eine kann an seinem Verzicht ebenso hängen wie der andere an seinem Besitz.

Ihr müsst all jene Dinge — und nur jene — annehmen, die vom Göttlichen kommen. Manche können nämlich versteckten Wünschen entstammen. Diese wirken im Unterbewussten und ziehen Sachen an, deren Herkunft ihr vielleicht nicht erkennt, die aber nicht vom Göttlichen, sondern aus verkleideten Begierden stammen.

Ihr  könnt  leicht  erkennen, ob etwas  vom  Göttlichen  kommt.  Ihr  fühlt  euch  frei  und  friedvoll. Stürzt  ihr  euch  dagegen auf  etwas  und  ruft  aus:  ,,Endlich  habe  ich es !", so könnt ihr gewiss sein, dass es nicht vom Göttlichen kommt. Seelischer Gleichmut ist die Grundbedingung für die Einung und Gemeinschaft mit dem Göttlichen.

Gewährt das Göttliche nicht manchmal, was man wünscht ?

Gewiss.

Ein Jüngling fühlte sich vom Joga angezogen, aber er hatte einen engherzigen und grausamen Vater, der ihn sehr quälte, indem er seiner spirtlichen Sehnsucht mit allen Mitteln entgegenzuwirken suchte. Der Sohn wünschte brennend, von dieser  Einmischung befreit zu sein. Da wurde der Vater ernstlich krank; er lag im Sterben. Indessen erwachte im Jüngling die andere Seite seiner Natur, er beklagte sein Unglück und rief aus: ,,Mein armer Vater ist so krank ! Wie traurig ! Ach, was soll ich tun?" Und der Vater

wurde gesund. Der Sohn freute sich und wandte sich von neuem dem Joga zu, und von neuem wandte sich der Vater gegen ihn und quälte ihn mit verdoppeltem Grimm. Der Jüngling raufte sich die Haare vor Verzweiflung und jammerte: ,,Jetzt stellt sich mir mein Vater mehr denn je in den Weg..."

Es kommt wirklich darauf an genau zu wissen, was man will.

Das Göttliche bringt immer vollkommenen Frieden und völlige Ruhe mit sich. Eine gewisse Sorte von Bhakta-Anhängern bietet freilich ein ganz anderes Bild. Sie springen herum und lachen und singen in sogenannten Anwandlungen von Frömmigkeit. Tatsächlich leben solche Leute aber nicht im Göttlichen, sondern fast ausschließlich in der vitalen Welt.

Ihr sagt, selbst Ramakrischna habe Perioden überreizter Gemütsbewegungen gehabt; tanzend, mit erhobenen Armen, sei er umhergegangen. Damit verhält es sich in Wahrheit so: Die Regung des inneren Wesens mag an sich vollkommen sein, doch macht sie einen für gewisse Kräfte empfänglich, die gerade durch ihre Intensität ein schwaches und unverwandeltes äußeres Wesen mit so heftiger Empfindung füllen, dass sie manchmal nicht mehr zu meistern ist ! Überall, wo das äußere Wesen dem inneren Widerstand leistet oder nicht das gesamte empfangene Ananda zu halten vermag, stellt sich im Ausdruck Verwirrung und Anarchie ein.

Ihr müsst einen festen Körper und solide Nerven haben. Ihr braucht eine starke Grundlage von Gleichmut in eurem äußeren Wesen. Habt ihr diese, so könnt ihr eine Welt voll Empfindung fassen, ohne sie in Schreien entweichen zu lassen. Das heißt nicht, dass Gemütsbewegung nicht ausgedrückt werden dürfe, doch ist das auf schone, harmonische Weise möglich. Vor Bewegtheit schreien, weinen und tanzen zeigt immer eine Schwäche der vitalen, geistigen oder physischen Natur; denn auf all diesen Ebenen finden diese Regungen zu persönlicher Befriedigung statt. Und einer, der tanzt, herumspringt und schreit, hat das Gefühl, dass seine Stimmung ihn zu etwas Besonderem macht, und seine vitale Natur genießt das außerordentlich.

Um den Druck der Herabkunft des Göttlichen auszuhalten, müsst ihr sehr stark und machtvoll sein, sonst geht ihr in Stücke.

Es gibt Leute, die fragen: ,,Warum ist das Göttliche noch nicht erschienen ?"  Nun, weil ihr nicht bereit seid. Wenn schon ein kleiner Tropfen euch singen, tanzen und schreien lässt, was würde geschehen, wenn das Ganze herunterkäme ?

Darum sagen wir denen, die in ihrem Körper, ihrem Vitalen und ihrem Geist keine genügend feste und weite Grundlage haben: ,,Zieht nicht", das heißt, ,,versucht nicht mit Gewalt, die Kräfte des Göttlichen anzuziehen, sondern wartet im Frieden und in der Ruhe." Denn sie könnten die Herabkunft gar nicht aushalten. Doch jenen, die das nötige Fundament haben, sagen wir im Gegenteil: ,,Strebt und zieht." Denn sie können die herabkommenden Kräfte des Göttlichen aufnehmen, ohne aus der Fassung zu geraten.

 

Manchen geschieht es, dass ihnen, sobald sie sich dem Göttlichen zuwenden, jede materielle Stütze und alles, was sie lieben, entzogen wird. Hegen sie zu jemand eine Zuneigung, so verlieren sie ihn ebenfalls.

 

Das geschieht nicht jedermann, sondern nur denen, die berufen werden.

Was auch hinsichtlich des spirtlichen Lebens der Unterschied zwischen Ost und West sein mag, er liegt nicht in der Grundnatur oder im inneren Wesen, denn das steht unveränderlich fest, sondern in den geistigen Gewohnheiten, den Ausdrucksweisen, die das Ergebnis von Erziehung, Umwelt und anderen äußeren Gegebenheiten sind. In den tiefsten Empfindungen gleichen sich alle Menschen, westliche und östliche; sie unterscheiden sich nur in ihrer Art zu denken und sich auszudrücken. Aufrichtigkeit zum Beispiel ist eine Eigenschaft, die überall die gleiche ist. Aufrichtige, aus welchem Volk oder welcher Rasse auch immer, sind es auf gleiche Weise: nur die der Aufrichtigkeit verliehenen Formen wechseln. Der Geist arbeitet in verschiedenen Völkern verschieden, aber die Tiefen des Herzens sind überall die gleichen. Und im Herzen wohnt viel mehr Wahrheit als in den oberflächlichen Teilen des Wesens, zu denen all die Abweichungen gehören. Sobald ihr tief genug geht, stoßt ihr auf etwas, das in allen eines ist. Alle treffen sich im Göttlichen. Die Sonne ist das Symbol des Göttlichen in der physischen Natur; Wolken mögen ihr Aussehen verändern — sind sie aber verschwunden, so sieht man überall und immer dieselbe Sonne.

Wenn ihr euch mit jemand nicht eins fühlen könnt, so zeigt dies, dass ihr in eurem Gefühl nicht tief genug gedrungen seid.


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